Dienstag, 28. Juni 2011

Altes Deutschland, neues Polen

Von [der Stadt, in Deutschland, in der ich studiert habe] war es nicht weit bis zur polnischen Grenze. Vor 1945 war das Gebiet oestlich des Flusses deutsch. Heute ist es polnisch. Viele der Deutschen fahren zum Tanken und Zigarettenkaufen auf die andere Seite und Polen sah man oft in Scharen im Aldi Schokolade, Kekse und Hairspray kaufen.

"Das war unsere Stadt"

Die aeltere deutsche Frau, mit der ich in der Strassenbahn in [der Stadt westlich des Flusses] ins Gespraech kam, meinte, sie ginge nie auf die andere Seite. "Wir haben dort gelebt", erzaehlt sie mir, "das war unsere Stadt." Nach dem Krieg mussten sie alle weg. Genauso wie Deutschland verlor auch Polen Gebiete im Osten, und bekam dafuer - als Ausgleich - die ehemaligen Ostgebiete Deutschlands zugesprochen. Polen wurde quasi verschoben - von Ost nach West.

Umgesiedelt

Viele der Polen, die ihre Heimat im Osten verlassen mussten, wurden im neuen polnischen Westen, im alten deutschen Osten angesiedelt. Es hat lange gedauert, bis sie heimisch wurden. Wer wusste schon, ob sie wirklich auf Dauer hier bleiben durften? Was, wenn wieder jemand kaeme und bestimmte, dass sie aufs Neue ihre Sachen packen sollten?

Damals deutsch, heute polnisch

Ich bin gerne durch die Strassen der Stadt, die mal deutsch war und jetzt polnisch ist, gelaufen und war fasziniert, wie schnell man im Ausland, in Osteuropa sein konnte - und dass das hier mal Deutschland war, dass hier mal Deutsche gelebt haben, in den Strassen, auf den Plaetzen und Parks. Die Haeuser - von Deutschen gebaut. Die Kirchen - damals protestantisch und heute katholisch oder orthodox. Umgeweiht, fertig. Verrueckt, wie schnell sich die Zeiten aendern koennen und das, was Heimat, was gewohnt und normal war, ploetzlich nicht mehr ist.

Drueben

"Mein Mann", sagte mir die alte Frau, "mein Mann liegt noch drueben." Und tatsaechlich gibt es in [der Stadt auf der polnischen Seite] einen alten deutschen Friedhof, auf dem verwitterte Grabsteine und verrostete Kreuze von einer Zeit zeugen, die nicht mehr ist.

Montag, 27. Juni 2011

Minirock, Vollschleier, Rastafari

Hin

Ein Samstagnachmittag im Juni in London. Es ist - ganz ungewohnt - bruellend heiss. Vorsichtig machen sich das Lieschen und ich uns durch die Hitze auf den Weg Richtung U-Bahn-Station. Im Cafe an der grossen Strasse sitzen, wie immer, die bulgarischen Maenner in kleinen Grueppchen im Schatten der Balustrade zusammen. Vorne an der Ecke kommt uns ein dunkelblonder Rastafari entgegen, der seine langen Haare unter einer riesigen roten Muetze traegt. Anonsten hat er nur Shorts, Sandalen und, es ist heiss, ein rotes Netzshirt am Koerper.

Minirock und Vollschleier

Auf der Einkaufsstrasse, die zur U-Bahn-Station fuehrt, promenieren sich Polinnen, Bulgarinnen, Russinnen in Miniminiminiroecken und -shorts, es ist ja Sommer. Daneben laeuft eine Gruppe sudanesischer Frauen in schwarzer Vollverschleierung. Verhuellt von Kopf sind nur ihre Augen frei. Nur eine traegt keinen Gesichtsschleier, sie ruft ihren Sohn, der gerade dem kleinen Inder da vorne die Muetze vom Kopf ziehen will. Die Mutter des Inders, in shalwar kameez mit lockerem Kopftuch, sieht sich derweil die Taschen, die die zwei Vietnamesinnen, die dort vor dem Einkaufszentrum immer stehen, verkaufen, an.

Regent's Park

In der U-Bahn ist es noch heisser, ein spanischer Tourist tritt mir auf den Fuss und wenn ich jetzt nicht gleich einen Sitzplatz bekomme - da steht ein junger Franzose auf und bietet mir seinen Sitz an. Druekcend heiss ist es immer noch, warum gibt es in der Londoner U-Bahn keine Klimaanlagen?, aber wir sind ja auch schon bald da. Den Regent's Park mochten das Lieschen und ich schon letztes Jahr. Diesen Sommer waren wir endlich auch einmal in der Regent's Park Mosque (auch: London Central Mosque), die direkt am Park liegt. In diesem Teil des Parks wimmelt es nur so vor Muslimen.

Araber, Indonesier, Pakistanis, Polinnen

Reiche Golfaraberinnen mit ihren schwarzen, schicken Abayas; kleine Indonesierinnen, die sich kleiden wie die alte polnische Nachbarin meiner Schwester in [Stadt in Deutschland], nur mit Kopftuch drauf; aeltere Syrerinnen, die man an den langen, haesslichen Plastikmaenteln mit Schulterpolster erkennt: juengere Syrerinnen in stylischem Jeansrock, nettem Oberteil und passendem Hijab; Inderinnen und Pakistanerinnen in shalwar kameez; afrikanische Muslime; ganz helle europaeische Musliminnen - hier gibt es alles (und natuerlich auch die Maenner dazu). Dazwischen tummeln sich sonstige Touristen jeder Couleur und auch ein paar "echte" Londoner - das hoert man am Akzent, wenn nicht: sieht man am Auftreten (selbstsicherer; die wissen, wo sie sind).

Zurueck

Auf dem Weg zurueck zu einer der U-Bahn-Stationen laufen wir an Gruppen von Familien und Freunden, die auf dem Rasen sitzen, essen, trinken, sheesha rauchen. Da vorne spielen welche Ball. Je weiter wir uns von der Moschee entfernen, desto weniger Kopftuecher und Grossfamilien sind zu sehen. Da vorne noch einmal eine Traube vor dem Lokal und Bootsverleih, etwas weiter am Kanal eine alte Frau im Rollstuhl mit goldener Maske, wie sie frueher am Golf getragen wurde, und langsam kommen wir in einen Teil des Parks, der Islampanikern wie Broder, Sarrazin oder Schwarzer zwar immer noch Bauchschmerzen bereiten wuerde (immer noch keine kopftuchfreie Zone), aber zumindest keine sofortige Herzattacke mehr ausloesen wuerde.

Samstag, 25. Juni 2011

Mariko

Oder: Powerfrau auf Japanisch

Seit das Lieschen da ist, überlege ich mir vor einem Vorstellungsgespräch nicht mehr nur, was meine drei Stärken und Schwächen sind und wo ich mich in fünf Jahren sehe, sondern auch, wie ich meinem Gesprächspartner klar machen kann, dass ich den Job auch mit Kind hinbekommen kann. Ich dachte immer, das sei wichtig - Mariko hat es ganz anders gemacht.

Die letzten

Mariko
ist Ende Dreißig, ich kenne sie aus dem Kindergarten, wo wir jeden Abend beide unsere Kinder abholen. Meistens sind wir zwei die letzten. Wenn ich komme, sitzt Mariko dann schon auf einer der kleinen Bänke in der Affengruppe und das Lieschen und Marikos Tochter Nami toben noch ein letztes Mal durch den Raum. Irgendwie kriegen wir es dann hin, dass die beiden ihre Schuhe und Jacken anziehen und mit uns los und Richtung U-Bahn und Bus kommen.

Japan - Spanien - London - Österreich

Mariko kommt aus Japan. Sie lebt schon seit Jahren in Europa. Zurzeit studiert sie in London an einer der besseren Unis Management. Ihr Mann ist Spanier. Nami wächst dreisprachig auf: Mariko spricht Japanisch mit ihr, ihr Mann Spanisch und im Kindergarten lernt sie Englisch. Unter der Woche arbeitet Marikos Mann in Österreich, er ist nur am Wochenende in London. Von Sonntagabend bis Freitagmorgen ist Mariko mit Nami alleine.

Vorstellungsgespräch

Letztens auf dem Nachhauseweg erzählte Mariko von einem Vorstellungsgespräch, das sie am selben Tag gehabt hat. Eine mittelgroße japanische Beratungsfirma sei das gewesen, die jetzt auch ein Büro in London aufgemacht hätten. Dass es eine mittelgroße Firma sei, habe ihr gut gefallen: "Ich habe lange genug für große Firmen gearbeitet, das wäre zur Abwechslung mal ganz gut", meint sie.

"Meinen Sie, Sie kriegen das hin?"

Dann erzählt sie, wie das Gespräch gelaufen ist. Was die gefragt haben. Was sie gesagt hat. "Und dann, am Ende habe ich gesagt: 'Ich muss Ihnen jetzt noch eine Frage stellen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das so politisch korrekt ist, aber das muss gesagt werden'". Ich dachte erst, ich hätte mich verhört und ihr wäre eine politisch nicht korrekte Frage gestellt worden. Aber dann fährt sie fort: "Und dann habe ich gesagt: 'Schauen Sie, ich habe eine Tochter, die in den Kindergarten geht. Hier in Europa, denke ich, kann man da Unterstützung von seinem Arbeitgeber für die Kinderbetreuung verlangen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie da ein bisschen flexibel sind. Das heißt nicht, dass ich den Job nicht machen kann oder nicht voll dabei sein kann. Aber manchmal wird es Ausnahmesituationen geben - und da müssen Sie dann flexibel sein. Meinen Sie, Sie kriegen das hin?"

Einen Schritt

Ich konnte nicht mehr. Erst konnte ich nicht glauben, dass sie ihm das tatsächlich so gesagt hat. Dann musste ich, die Situation im Kopf, lachen. Marikos Gesprächspartner in der Beratungsfirma muss ziemlich perplex gewesen sein. Mariko lachte laut auf: "Und der war Japaner! Bei uns ist das kulturell doch noch viel stärker verwurzelt, dass der Mann arbeiten geht und die Frau zu Hause bleibt und sich um die Kinder kümmert... Aber ich habe ihm ganz klar gesagt, schauen Sie, Sie können eine qualifizierte Mitarbeiterin gewinnen, mit Jahren an Erfahrung in Europa - aber dann müssen Sie auch einen Schritt auf mich zukommen."

Ich auch

Als der Mann von der Beratungsfirma sich gefangen hatte, erzählte, dass er selbst einen dreijährigen Sohn habe. Und bot Mariko den Job an.

Sonntag, 19. Juni 2011

Letztens gelesen (10)

Irmela Hannover / Cordt Schnibben: I can't get no. Ein paar 68er treffen sich wieder und rechnen ab. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2007.

40 Jahre später

Vor drei Jahren waren die 1968er das Thema in Deutschlands Feuilletons. 40 Jahre 68er - wer da nicht alles was zu sagen hatte. Vor etwas mehr als drei Jahren, pünktlich zum Jubiläum kam auch "I can't get no" (der Titel ist doof und passt eigentlich nicht) heraus. 16 Freunde von damals, die die 68er als Jugendliche in Bremen miterlebten, diskutieren über ihre damaligen Ideen und was heute daraus geworden ist.

Steinewerfer, Staatsanwalt

Steinwerfer, Hippies, Demonstranten - heute arbeiten sie als Staatsanwälte, Manager, Politiker, Professoren. Manche sehen sich auch heute noch als Linke, einige sind über die Jahre unpolitisch geworden, andere vertreten heute eher konservative Positionen. So radikal wie damals ist heute eigentlich fast keiner mehr. Wie es dazu - zu ihrer damaligen Radikalität und der graduellen (Re)integration in die gesellschaftliche Mitte - kommen konnte, diskutieren die 16 an einem Wochenende.

Lesenswert

"I can't get no" ist die Dokumentation dieser Diskussion: Das Buch besteht neben den Kurzporträts der Diskutanten aus den transkribierten Tonbandmitschnitten eines Wochenendes geleiteter Diskussion. Lesenswert ist das Buch, weil es ehrlich ist und es deutlich macht, wie unterschiedlich damals und heute die, die 1968 mitprägten, sich, ihre Generation und die Welt sahen.

Dienstag, 14. Juni 2011

Letztens gelesen (09)

Rosemary Taylor / Christopher Llyod: The East End At War. Stroud: Sutton Publishing, 2007.

1933 - 45

Ich habe in der Grundschule Anne Frank gelesen. In den ersten Jahren auf dem Gymnasium stand das Thema Nationalsozialismus im Deutsch-, Geschichts- und Sozialkundeunterricht auf dem Plan. Und auch privat hat mich die Zeit von 1933 bis 45 so gefesselt, dass ich mir regelmäßig Bücher dazu aus der Bücherei geholt habe. Von Klaus Kordon, Gudrun Pausewang, Lisa Tetzner und vielen, vielen anderen. In der 13. haben meine Freundin und ich einen Projekttag zur Erinnerung an die Befreiung Ausschwitz' organisiert und natürlich kam das Thema auch in den Abiturprüfungen dran.

Fokus: Deutschland

Der Fokus aller Unterrichtsstunden und auch der meisten Bücher, die ich dazu las, lag allerdings auf Deutschland. Es ging um deutsche Kinder, die den Ersten, Zweiten Weltkrieg, die Zeit der Weimarer Republik, die ersten Nachkriegsjahre miterlebten. Später, in der Oberstufe standen im Mittelpunkt die Struktur des nationalsozialistischen Regimes und deutsche Politik seit Ende des Ersten Weltkriegs. Die europäische Dimension wurde kaum miteinbezogen - von der Situation außerhalb Europas ganz zu schweigen.

Nicht nur wir

So kam es, dass ich erst als Teenager staunend davon erfuhr, dass im Zweiten Weltkrieg ja nicht nur Berlin, Hamburg, Frankfurt, München bombardiert wurden, sondern auch Warschau, London, Rotterdam. In Großbritannien wird der Luftkrieg gegen London, der die Stadt zwischen September 190 und Mai 1941 traf, als the blitz bezeichnet. Betroffen war von den Anschlägen vor allem der Osten der Stadt, wo die Hafen- und Industrieanlagen geballt waren. Tragischerweise waren es damit vor allem die einfachen Leute, die vielen Arbeiter und Angestellten, die den Großteil der Bewohner Ostlondons ausmachten (und dies immer noch tun), die Opfer der Bombenangriffe wurden.

London im Krieg

In The East End At War fassen Rosemary Taylor und Christopher Lloyd diese Jahre zusammen. Drei der neun Kapitel widmen sich der Zeit vor 1939 - dem 19. Jahrhundert, dem Ersten Weltkrieg und den Zwischenkriegsjahren. Der Großteil des Buches ist der Zeit des Zweiten Weltkriegs gewidmet, die aus der Perspektive der kleinen Leute dargestellt wird. Auf die mehrseitige Einleitung, die den Rahmen setzt, folgt kein weiterer Text, sondern ausschließlich große, ausführlich kommentierte Schwarzweißphotographien, die den Alltag der Menschen damals veranschaulichen.

Freitag, 10. Juni 2011

Federico

Oder: Nicht hier und nicht dort

Ein Italiener in London

Federico kommt aus Italien. Seit letztem Sommer studiert er in London - und findet es schrecklich. Das Wetter, das Essen, das anstrengende Studium und so lange von seiner Mamma weg sein, das ist es einfach nicht. "Meine Freunde schreiben jeden Tag auf Facebook, wie toll es heute wieder am Strand war", mault er, "und ich hocke hier in London."

Nord - Sued

Federico stammt aus einem kleinen Ort an der Kueste im Sueden Italiens. Sein Vater ist Mathematiker, die Mutter stammt aus einer traditionell kommunistischen Familie und ist gleuhende Feministin und Anti-Berlusconi-erin. Studiert hat Federico in Neapel. Erst Geschichte und Politik und danach, einen Master, Internationale Beziehungen. Als es darum ging, sich ein Thema fuer seine Bachelorarbeit zu ueberlegen, war Federico sich sicher, ueber die Kolonialisierung des Suedens Italiens durch den Norden schreiben zu wollen. Begeistert erzaehlte er seinem Professor von seiner Idee, bis der ihn stoppte: "Hoert sich super an! Schreiben wirst du allerdings zur italienischen Aussenpolitik nach 1945."

Gibt's nicht

Waehrend seines Masterstudiums konzentrierte Federico sich auf Lateinamerika. Als er fertig war, ueberlegte er sich, was jetzt kommen sollte. Jobs ausserhalb des Tourismus gibt es in seinem Heimatort kaum. Federico ueberlegte sich, sich fuer eine Promotion zu bewerben. In Neapel war das nicht moeglich. "Promovieren solltest du auf jeden Fall", riet ihm sein Professor. "Aber bei mir wird das nichts. Ich habe nicht die politischen Beziehungen, die es braeuchte, um an Foedermittel zu kommen." Die Regierung hatte gerade einen Grossteil der Mittel fuer die Hochschulbildung gestrichen.

Was es gibt

Ein Stipendium fuer eine Promotion im Ausland bekam Federico nicht, und ohne Foerderung war ein noch einmal Jahre dauerndes Studium nicht drin. Fuer ein einjaehriges Masterstudium in London gab es aber Foerderung. Mit einem Vollstipendium ausgestattet reiste Federico etwas spaeter also nach Grossbritannien. Bisher war er nur zu zwei Uniexkursionen im Ausland gewesen: einmal in Irland ("war wie in London"), einmal in Griechenland ("ziemlich das Gleiche wie in Italien").

Zurueck nach Italien?

Wie es nach dem Studium weiter gehen soll, weiss Federico nicht. "Ich halte es nicht mehr aus", stoehnt er, "ich muss zurueck nach Italien." Vom Wetter, dem Essen und der Lebensart abgesehen geht es ihm vor allem um seine Mutter: "Sie wird jetzt langsam alt, und ich bin nicht da fuer sie - das ist nicht gut", meint er. Beruflich Fuss zu fassen wird im Sueden Italiens schwierig werden. Federicos Schwester hat vor zwei Jahren ihr Jurastudium mit exzellenten Noten abgeschlossen - und ist seitdem arbeitslos. Nach Norditalien, wo es noch eher Arbeit gaebe, will er nicht: "da kann ich ja gleich im Ausland bleiben."

Nur fuer ein paar Jahre

Und im Ausland bleiben? Wenigstens fuer ein paar Jahre? "Nein", er schuettelt den Kopf, "ich weiss, wie das ist. Man sagt, man geht nur fuer ein paar Jahre, aber wenn man dann erst mal einen Job hat und Geld verdient, dann bleibt man auch. Kommt jeden Sommer zurueck nach Hause und weint sich die Augen aus dem Kopf, dass man nicht mehr da ist. Nein."

Mittwoch, 8. Juni 2011

Sophia

Sophia habe ich auf der Faehre von Dover nach Calais kennen gelernt. Sie war wie wir auf dem Weg nach Deutschland und hat mich mit dem Lieschen Deutsch sprechen gehoert. "Kommst du auch aus Deutscland?" - ja, kam ich.

Deutsche in London

Sophia hat in Deutschland eine Ausbildung zur Hotelfachfrau abgeschlossen und arbeitet jetzt in London in einem Hotel. Es gefaellt ihr ganz gut dort, aber es nervt sie, staendig auf ihre Herkunft aus Deutschland angesprochen zu werden. "Staendig diese Nazi-Witze", meint sie entnervt, "ja, ich komme aus Deutschland, aber verdammt, der Zweite Weltkrieg ist jetzt ueber fuenfzig Jahre vorbei, ich war damals noch gar nicht geboren, meine Eltern auch nicht - also, was sollen diese Sprueche die ganze Zeit?".

Fremde in Deutschland

"Ich wollte immer auswandern", faehrt sie fort, "aber seit ich im Ausland lebe, ist mir klar, wo ich hin gehoere. Ein paar Jahre mache ich das hier noch, vielleicht gehe ich auch noch mal fuer ein Weilchen nach Frankreich, aber danach bin ich wieder in Deutschland, das ist klar." Sophias Mutter kommt aus Marokko, ihr Vater aus Frankreich. "Ich bin in Deutschland gross geworden, aber irgendwie habe ich mich immer fremd gefuehlt dort. Irgendwie war ich anders."

Rotblonde Araberin

Dabei sieht man Sophia ihr Fremdsein nicht an: Sie hat rotblonde Haare, hellbraune Augen, ganz helle Haut. Auch ihr Name ist unauffaellig. "Das hat mich immer so aufgeregt, wenn mir die Leute dann nicht glauben wollten, dass mein Name Arabisch ist", meint sie, "klar, ich weiss, Sophia kommt aus dem Griechischen, aber im Arabischen gibt es den auch! Wie die Leute immer geguckt haben, wenn ich ihnen gesagt habe, dass meine marokkanische Grossmutter den fuer mich ausgesucht hat..."

Sprachen

Arabisch spricht sie nicht. "Als ich klein war, hat meine Mutter Arabisch und Franzoesisch mit mir gesprochen und ich konnte beides - wie das bei kleinen Kindern in dem Alter aber eben so ist, habe ich alle Sprachen gemixt - Deutsch, Arabisch, Franzoesisch. Dann kam ich in den Kindergarten und die Kindergaertnerinnen haben meiner Mutter Panik gemacht und meinten, dass ich spaeter mal kein ordentliches Deutsch sprechen wuerde." Das wollte Sophias Mutter nicht und von da an sprach sie mit dem Kind nur noch Deutsch. Heute spricht Sophia akzentfrei Deutsch, aber nur gebrochen Franzoesisch und Arabisch versteht sie nur ein bisschen. "Mach bloss den Fehler mit dem Lieschen nicht", meint Sophia zu mir und schuettelt den Kopf: "Kinder lernen so schnell und mit der richtigen Unterstuetzung wird das auch mit drei Sprachen was!"

Dienstag, 7. Juni 2011

Mal wieder etwas spaet dran

Oder: Dienstagmorgen in der tube

Morgens fruehstueckt die Lieselotte mit dem Lieschen in der Kueche. Den obligatorischen Apfel nehmen wir mit auf den Weg in die Uni, in den Kindergarten. Manchmal, wenn wir spaet dran sind, faellt das Fruehstueck aus und ich hole uns stattdessen ein Sandwich. Dann sitzen wir in der U-Bahn, fruehstuecken dort und das halbe Abteil riecht nach Kaese oder hart gekochten Eiern.

Etwas spaet dran schien auch die Frau, die heute links gegenueber von mir in der U-Bahn sass, gewesen zu sein. Sie war jung, huebsch, makellos geschminkt, nur der Mascara schien noch nicht dick genug aufgetragen gewesen zu sein. Also raus mit der Tusche und drauf los gemalt, ein kleiner Taschenspiegel hilft dabei.

Mal wieder etwas spaet dran - auch der Mann rechts neben mir. Im Anzug und schickem Hemd war er fertig fuers Buero. Nur die Krawatte fehlte. Ein Handgriff, zwei, drei, und das Teil sitzt. Links ein bisschen geruckelt, rechts ein bisschen geruckelt - gut, so kann man sich im Buero sehen lassen.

Ich warte jetzt darauf, dass demnaechst morgens in der U-Bahn jemand seine Zahnbuerste auspackt. Oder anfaengt, sich die Augenbrauen zu zupfen. Aber das waere dann vielleicht sogar in der tube in London ein kleines bisschen zu viel.

Montag, 6. Juni 2011

Vorstellungsgespraech

Oder: 24 Stunden Deutschland

16.45 Uhr: Von der Uni noch kurz beim husband im Buero vorbei, dann gleich zur Bushaltestelle. Erreiche den Shuttlebus gerade noch so. Stau. Stau. Stau. Stress: Schaffen wir das noch rechtzeitig zum Flughafen? (Ja, gerade noch so.) SMS an Freundin, letzte Instruktionen zum Lieschen Abholen (morgen Abend). SMS an Kommilitonen (Lieschen Abholen heute Abend). Anruf im Kindergarten. SMS an Babysitterin. SMS an husband.

19.45 Uhr: Letzter Anruf an den Grossvater (zurzeit in London), wie jeden Abend, diesmal vom Flughafen.

Etwas spaeter: Abflug gen Deutschland.

Noch etwas spaeter: Ankunft in Deutschland. Von [Flughafen in London] bis [Flughafen in Deutschland] brauche ich genauso lange wie von mir zu Hause in London bis in die Londoner Innenstadt.

Kusine holt mich am Flughafen ab, deutsches Geld abheben; eine Stunde spaeter sind wir bei ihr zu Hause. Quatschen, lange nicht gesehen.

00.00 Uhr: Anruf vom husband, Lieschen will nicht schlafen und fragt nach Mama.

00.45 Uhr: Schnell noch mal schauen auf Google nach Antworten, auf Fragen, die morgen frueh gestellt werden koennten.

1.00 Uhr: Bett.

7.30 Uhr: Wecker klingelt, aufstehen, duschen, anziehen.

8.00 Uhr: Aus dem Haus. Fruehstueck auf dem Weg zum Vorstellungsgespraech.

9.00 Uhr: Vorstellungsgespraech Teil 1. Wieder nach Hause, auf dem Weg einkaufen, essen.

14.00 Uhr: Vorstellungsgespraech Teil 2. Wieder nach Hause, auf dem Weg einkaufen, essen, packen. Zum Bahnhof.

Bus hat eine halbe Stunde Verspaetung wegen Stau. Stress: Schaffen wir das noch rechtzeitig zum Flughafen? (Ja, gerade noch so.)

Eine Stunde Flug. London.

20.00 Uhr: SMS an husband. Anruf an den Grossvater (zurzeit in London), wie jeden Abend, diesmal vom Flughafen.

22 Uhr: Wie sich das Lieschen freut, dass die Mama wieder da ist!