Donnerstag, 29. Juli 2010

Ein Nachmittag in Whitechapel

Ich habe ein neues Lieblingsviertel in London: Whitechapel. Sagt euch der Name Barbès etwas? Was in Paris die Gegend um den Boulevard Barbès ist, ist in London die Whitechapel Road. In Paris sind es marokkanische und algerische Franzosen, die das Straßenbild bestimmen, in Whitechapel dominieren die bengalischen und indischen Briten. Eine Straße voll mit Menschen, Kopftüchern, shalwar kameez, langen arabischen Gewändern, Gesichtsschleiern. Da vorne ist ein "Weißer" und hier drüben noch einer, aber ansonsten ist London hier braun und so multikulti wie man es außer von Paris von keiner anderen westeuropäischen Stadt kennt.

Das Herz des Viertels ist der Markt auf der einen Seite der Whitechapel Road, der jeden Tag - außer sonntags - bis 18 Uhr geöffnet hat. Kaum hat man den tube-Bahnhof Whitechapel verlassen, ist man schon mittendrin. Kopftücher werden hier verkauft, Abayas, Leggins, Unterwäsche, Kinderkleider, bunte Röcke, Maxikleider und Strickjacken, indische Saris und shalwar kameez, billiger Plastikschmuck, etwas teuerer Silberschmuck, Handyschalen, Schlüsselanhänger, Putzmittel, Plastikkörbe, Kochtöpfe, Klebeband, Bollywood-Filme, Süßigkeiten, Obst, Gemüse, Gewürze, frischer Fisch, Plastikpuppen, Kuscheltiere, Fernsteuerautos - alles, was man eben braucht oder auch nicht.

Gesäumt ist die Markstraße von zum größten Teil ziemlich heruntergewirtschafteten Backsteinhäusern, die überwiegend gegen Ende des 19. Jahrhunderts erbaut wurden. In einigen der Gebäuden wird im Erdgeschoss noch ein Büro betrieben, während zwei Stockwerke weiter oben die Fenster schon lange keine Scheiben mehr haben und der Blick frei ist auf die bereits herunter gebrochene Zwischendecke. In den kleinen Bistros und Schnellimbissen gibt es südasiatisches Essen - und (angeblich) halal Fastfood.

Auf dem Nachhauseweg fällt mir auf, dass man sich hier auf dem Markt - ganz anders als auf dem Barbès - als Frau bewegen kann, ohne alle fünf Meter ein "miez-miez", "mashaallah" oder "mmmmh" hinterher gerufen, geflüstert, gesummt bekommt. Was macht den Unterschied? Sind die Südasiaten anders als die Maghrebiner? Die Briten anders als die Franzosen? Die Frage bleibt mir im Kopf, bis mich der rote Bus, der die Haltestelle ansteuert, an der das Lieschen und ich warten, aus meinen Gedanken reißt.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ja, ich denke, ein bisschen anders sind sie schon, die Südasiaten! Obwohl es da bestimmt auch so lüsterne Typen gibt ;-) Die Araber sind glaube ich da etwas "leidenschaftlicher" oder "ungehemmter" oder "grenzenloser" oder, oder, oder ... Irgendwie macht es dann auch Sinn, dass Frau sich in den arabischen Kreisen mehr verhüllt bzw. dass es in vielen arabischen Ländern strengere Verschleierungsregeln gibt. In Indien beispielsweise wird das Kopftuch ja auch eher locker gebunden ... mehr als Schmuck/Symbol. Vielleicht ist es dort nicht nötig? Oder umgekehrt: vielleicht führt die weniger strikte Schleier-Regel zu lockereren Gemütern dort?